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Über Stammbuchsätze und warum das "Christentum" daran krankt, zu viel zu reden und zu wenig zu leben. Eine Fortsetzung des letzten Weblogs "Und Frieden auf Erden?"

16.01.2016 | Oliver Fichtberger

Die goldene Regel

Ich war damals noch in dem Alter, in dem wir „Stammbücher“, auch „Freundschaftsbücher“ genannt, austauschten. Freude hatte ich keine großartige daran, wenn ich von irgendjemand wieder eines in die Hand gedrückt bekam und eine Art Steckbrief zu meiner Person ausfüllen musste und dann noch irgendeinen schlauen Satz dem anderen in sein Stammbuch zu schreiben hatte. „Wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her …“ war als Spruch hoch in Mode, kam also nicht mehr in Frage, ich wollte ja nicht einfach abkupfern.

So erinnere ich mich, dass ich jemand folgenden Spruch ins Stammbuch schrieb: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ Danach muss ich das meiner Mutter gezeigt haben, denn ich erinnere mich, dass sie sinngemäß fragte, warum ich nicht die richtige Variante dieses Spruchs geschrieben hätte.

Mütter sind mächtig. Sie können mit einfachen Bemerkungen Großes bewirken. Auf der einen Seite großes Unbehagen, weil ich natürlich als Kind es auch gerne meiner Mutter gerne recht gemacht hätte, den Satz im fremden Stammbuch aber nicht mehr ohne desaströse Folgen verändern konnte. Auf der anderen Seite, weil damals etwas begonnen hat, was mich bis heute begleitet und wofür ich meiner Mutter immer noch dankbar bin: Ich fing an, mir kritisch Gedanken zu machen, was Sätze bedeuten.

Mit der anderen Variante meinte meine Mutter die goldene Regel, wie Jesus sie formulierte: "Alles, was du willst, das dir die Leute tun sollen, das tu du ihnen auch!" Matthäus 7,12.

Bei genauerer Betrachtung liegen tatsächlich Welten zwischen diesen beiden Sätzen und es ist mir schleierhaft, wie die von mir damals ins Büchlein gekritzelte Variante es auf Wikipedia tatsächlich in die Auswahl der Varianten der goldenen Regel geschafft hat. „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ – ist vom Ansatz her völlig anders als Jesu Aufforderung. Es ist ein passiver Ansatz der Vermeidung. Wenn ich allen Menschen aus dem Weg gehe, um Probleme und Konflikte zu vermeiden, dann werde ich diesem Satz zwar gerecht, aber auch einsam. Krass gesagt, könnte man sie auch so wiedergeben: Ich tu dir nichts, du tust mir nichts, wir lassen einander in Frieden und sind uns im Grunde herzlich egal.“

Die goldene Regel, wie Jesus sie formuliert, ist völlig anders. Um ihr gerecht zu werden, reicht es nicht, jegliches Anecken zu vermeiden. Wer andere behandeln will, wie er selbst behandelt werden möchte, der braucht offene Augen und muss bewusst auf Menschen zugehen. Da nicht zwangsläufig jedem gefällt, was mir gefällt – immerhin sind wir alle unterschiedlich – impliziert diese Regel Jesu, dass ich mich in mein Gegenüber hineindenken muss, herausfinden muss, wie jemand tickt und welche Bedürfnisse ein Mensch hat.  Ich muss von  mir selbst wegdenken und mich behutsam der Lebenswelt eines anderen Menschen annähern, um ihm eine Freude zu machen und sein Leben zu bereichern. Proaktives Handeln ist hier nötig.

In diesen Tagen werden öfter Vergleiche zwischen den Weltreligionen angestellt. Das „Christentum“ wird dabei auch kritisch im Licht seiner Geschichte betrachtet, die eben auch Kreuzzüge und das erbarmungslose Niedermetzeln Andersdenkender gesehen hat. Das Christentum und seine Geschichte zu vermengen, scheint mir aber sehr gefährlich, zeigt doch diese Geschichte bis heute eher das pervertierte Gesicht des Christentums. In Wirklichkeit hat das alles mit dem wahren Christentum wenig bis nichts zu tun.

Die DNA des Christentums steckt in den Worten Jesu, gerade auch in diesem „Alles, was du willst, das dir die Leute tun sollen, das tu du ihnen auch!“

Was man uns Christen vorwerfen kann – völlig zu Recht – ist, dass wir zu wenig von dem ausleben, was Jesus uns ins Stammbuch geschrieben hat. Hätten Christen quer durch die Geschichte alles gelebt, was Jesus vorgelebt hat, diese Welt  müsste völlig vom Guten durchdrungen sein und wäre ein besserer Ort.

Das wahre Christentum spielt sich weniger auf den großen politischen oder klerikalen Bühnen ab. Es ist im täglichen Leben, überall dort, wo ich Menschen begegne, dass ich zeigen kann, dass ich Christ bin. Und du auch.

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