
Wenn tolerant sein bedeutet, dass ich deine, von meiner abweichende Meinung stehen lassen kann und wir uns gegenseitig deswegen nicht böse Worte an den Kopf werfen müssen, dann ist das ein Sieg für uns beide ...
23.05.2014 | Oliver Fichtberger
Sieg der Toleranz oder Diktatur der Toleranten?
Langsam ebbt der Rausch um den österreichischen Sieg im Eurovision Song Contest ab. Während der Rummel um den Sieger in den Medien nach und nach dem Tauziehen um den Austragungsort des nächsten Wettbewerbs weicht, sollen diese Zeilen dazu beitragen, eine brennende Sorge auszusprechen, die den dieser Tage vielfach strapazierten Begriff „Toleranz“ betrifft.
Was den Menschen in vielen Medien als ein Sieg der Toleranz verkauft wird, scheint bei näherer Untersuchung jedoch als Diktatur der Toleranz, oder vielmehr derer, die sich als tolerant definieren.
Denn die „Toleranz“ kann weder siegen noch diktatorisch sein, es sind immer Menschen, die sich dieses Begriffs bemächtigen und ihn auf die eine oder andere Art mit Inhalt füllen.
Wenn tolerant sein bedeutet, dass ich deine, von meiner abweichende Meinung stehen lassen kann und wir uns gegenseitig deswegen nicht böse Worte an den Kopf werfen müssen, dann ist das ein Sieg für uns beide, weil wir trotzdem freundlich miteinander umgehen können.
Wenn tolerant sein bedeutet, dass du mit mir im Gespräch bleibst und es trägst und erträgst, dass ich anderer Meinung bin als du und wir uns deswegen nicht feind sind, dann leben wir damit aus, was der Begriff „Toleranz“ von seinem Ursprung her bedeutet, nämlich „ertragen“.
Und nur wo wir es aushalten, die Meinung des anderen stehen zu lassen, kann ein horizonterweiternder Dialog über die unterschiedlichen Sichtweisen einsetzen. Toleranz würde in diesem Fall nicht bedeuten, gleicher Meinung sein zu müssen.
Problematisch wird es dann, wenn die Begriffe Intoleranz und Diskriminierung bereits bemüht werden, wenn jemand sich nur kritisch äußert und damit seine Meinung kundtut.
Ich habe weiter oben vom österreichischen Sieger des Song Contests gesprochen, weil ich damit meine Meinung zum Ausdruck bringe, dass ich es grundsätzlich nicht für möglich halte - genetisch betrachtet - aus einem Mann eine Frau zu machen. Der für einen Mann typische XY Chromosomensatz wird allen menschlichen Bemühungen zum Trotz nicht zu einem weiblichen XX. Auf dem Hintergrund mancher Diskussion und Äußerung der vergangenen Wochen muss ich nun fürchten, als diskriminierend und intolerant angesehen zu werden, ungeachtet der Tatsache, dass ich damit nicht nur meine Meinung, sondern sogar schlicht die Wahrheit sagen könnte.
Oder wenn ich sage, dass ich es normal finde, dass Kinder Vater und Mutter haben und in Familien mit heterosexuellen Eltern aufwachsen – was immer noch der natürliche Weg ist, überhaupt Kinder zu haben – dann soll das bereits Diskriminierung und Intoleranz sein?
Wird Toleranz neuerdings so buchstabiert, dass damit die freie Meinungsäußerung abgeschafft wird? Verlangen die Vertreter der neuen Toleranz tatsächlich wie im Märchen „des Kaisers neue Kleider“ kollektives Sehen von Etwas, was einfach nicht da ist?
Wird hier nicht das Kind mit dem Bad ausgeschüttet und nun mit umgekehrten Vorzeichen genau das gleiche gemacht, was manchen zu Recht vorzuwerfen ist, die Andersdenkende mit Verachtung, Spott, Anfeindungen und Hass begegnen?
Als Mitglied einer kleinen, aus dem protestantischen Bereich kommenden Kirche kann ich ein Lied davon singen, was es heißt, für das „Anders sein als die anderen“ gehänselt, verspottet und diskriminiert zu werden. Dies geschieht auf der persönlichen, aber auch auf der offiziellen Ebene. Denn es ist diskriminierend, dass der Staat unserer Kirche immer noch die Anerkennung verweigert, weil wir angeblich zu wenig Mitglieder haben, um unsere Kirche zu finanzieren, was wir bis jetzt aber trotz der wenigen Mitglieder seit über 100 Jahren tun.
Wenn ich aus den Erfahrungen damit etwas gelernt habe, dann das, dass es keinen Sinn hat, mit gleicher Waffe zurückzuschlagen. Auch die Flucht in eine armselige Opfermentalität bringt nichts.
Nur wenn Menschen mit unterschiedlichen Ansichten respektvoll miteinander reden, werden sie erleben, wie sie die Sicht des anderen entweder verstehen lernen, bestenfalls sogar erleben, wie der eigene Horizont weiter wird und die eigene Meinung in Bewegung kommt. Schlimmstenfalls kann das Ergebnis eines solchen Gesprächs sein, dass jeder am Ende noch überzeugter bei seinem Standpunkt bleibt, und die beiden sich am Ende nur eins sind, uneins zu sein (we agree to disagree), was aber durchaus ein guter Ausgangspunkt für zukünftige Begegnungen sein kann.
Was wissen wir schon, was im Inneren eines anderen vorgeht? Wer weiß, welche Not in einem Menschen vorgehen mag, der sich in seinem Körper nicht wohl fühlt und dafür angefeindet wird? Aber nun den Spieß umzudrehen und nun die zu diskriminieren, die das nicht nachvollziehen können und ernsthaft darüber diskutieren wollen, wird nur neue Opfer schaffen.
Wir können es lernen, respektvoll über unterschiedliche Meinungen zu diskutieren. Dazu gehört aber Mut. Mut, auf den anderen zuzugehen. Mut, seine eigene Meinung zu vertreten. Mut, den andern stehen zu lassen. Mut, gegen den Strom der Medien und Lobbys zu schwimmen, die gerade versuchen, eine erschreckende und gefährliche Version der Toleranz salonfähig zu machen.
Wenn Sie beim Lesen dieser Zeilen den Eindruck haben, dass sie manchmal arg predigthaft anmuten, dann stimme ich Ihnen zu. Als Pastor bin ich auch Prediger und als solcher mache ich meinem Herzen mit Worten Luft und gebe mich nicht damit zufrieden, einfach etwas gesagt zu haben. Ich lade immer zum aktiven Handeln ein. Reden ist mir eigentlich zu wenig, es geht ums Tun. Wobei beim Thema Toleranz ein ernsthaftes miteinander Reden bereits Tun ist.
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