Adventisten haben wichtige Glaubenslehren im Angebot, wenn sie aber nicht aus einer aktiven Beziehung zu Gott verstanden werden, ist die Alltagsrelevanz nur gering.
17.09.2024 | Reinhard Schwab
Wir in dieser Welt: Unseren Auftrag neu entdecken
Dieser Artikel ist erstmals im Adventisten Aktuell (Ausgabe 170) erschienen.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich in meiner Kindheit meinen Papa zu Seminaren begleitet habe – etwa die „5-Tage-Pläne“, so wurden damals die Raucherentwöhnungsseminare genannt, oder die Kochkurse meiner Mutter. Bei uns zuhause fanden Bastelrunden statt. So bin ich quasi mit der Seminararbeit meiner Eltern aufgewachsen. Auch als Jugendlicher habe ich an Seminaren teilgenommen und manchmal mitgeholfen. Jedoch ist mir immer eines aufgefallen:
Als Adventisten organisieren wir professionelle Programme, von denen Menschen aus der Gesellschaft profitieren. Zwischen den Zeilen wird der Versuch unternommen, biblische Botschaften einzubauen, um Brücken zur Bibel und zum Glauben zu schlagen. Aber je länger ich das beobachtet und später als Pastor selbst durchgeführt habe, wurde mir eines bewusst: Wenige Menschen reagierten schon damals positiv auf religiöse Themen und wenn doch jemand „angebissen“ hat, dann war das nächste Ziel, die „Interessenten“ zu Bibelstunden zu bewegen, in denen wertvolle und wichtige Glaubensaussagen der Bibel behandelt wurden. Aber die Relevanz für den Alltag konnte ich nicht erkennen. Selbst als ich mich für die Taufe entschieden habe, war es mir wichtig, ein guter Adventist zu sein, der sich an die Regeln hält. Von Jüngerschaft, der Kraft des Gebets, der verändernden Macht des Heiligen Geistes und der Relevanz von Gottes Wort für meinen Lebensalltag habe ich reichlich wenig verstanden.
Ich erinnere mich an einen meiner ersten Kontakte mit „Interessenten“. Gemeindeglieder brachten Freunde zu einem Seminar mit. Diese hatten bereits eine religiöse Prägung, aber den Glauben nicht aktiv gelebt. Da sie von den Inhalten des Seminars angesprochen wurden, kamen sie auch zum nächsten Seminar über das Buch „Der bessere Weg“ und anschließend zu einem Seminar über die Bergpredigt. Daraus entstanden Bibelstunden. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass mir von meinem Gegenüber immer wieder die Bereitschaft für die Taufe bekundet wurde, aber ich war noch nicht mit allen Bibelstunden durch. So musste ich die Person vertrösten – in Summe für ein ganzes Jahr. Damals war mir der Fokus auf das gründliche Durcharbeiten der Glaubenslehre wichtiger als meinem Gegenüber zu helfen, ein kraftvoller und freudiger Jünger Jesu zu werden, der gelernt hat, durch die Kraft des Heiligen Geistes und mit Gottes Wort durch die Höhen und Tiefen des Lebensalltags zu navigieren.
Rückblickend wurden mir drei Dinge bewusst:
Als Adventisten haben wir zwar existentielle und wichtige Glaubenslehren im Angebot, wenn sie jedoch nicht aus einer aktiven Beziehung zu Gott betrachtet und verstanden werden, ist die Relevanz für das reale Leben nur gering.
Auf verschiedenen Wegen sind wir aktiv bemüht, Menschen für das sogenannte „Evangelium“, die frohe Botschaft, zu gewinnen, selten entstehen daraus aber tiefe Freundschaften, in denen praktischer Glaube zum Kernthema geworden ist. Menschen sagen vielleicht JA zu einer Lehre. Aber wie unser Gegenüber in der Jüngerschaft zu einem kraftvollen und fröhlichen Nachfolger Jesu heranwächst, wie die Bibel als Ratgeber für das tägliche Leben verwendet werden kann und wie man mit dem Heiligen Geist zusammenarbeitet und zu einem veränderten Menschen wird, dazu haben wir wenig anzubieten.
Oft wird von älteren Semestern die Angst zum Ausdruck gebracht, dass die Gemeinde liberal und das Evangelium verwässert wird, wenn wir die Lehre nicht hochhalten. Während sich diese Jahrgänge um das Bewahren der „wahren“ Theologie sorgen, wird oft übersehen, dass ein Großteil der jüngeren Generation von Adventisten mit Theologie reichlich wenig anzufangen weiß. Sinn und Nutzen von Gemeinde, wie sie erlebt werden, wird aktiv in Frage gestellt. Vielfach höre ich von dieser Gruppe, dass die Glaubenspunkte für sie geringe bis keine Bedeutung haben, da sie wenig bis gar keine relevanten Schnittflächen zu ihrem Leben erkennen können. Sie selbst erleben nicht die verändernde Kraft des Evangeliums. Meist sind es Adventistenkinder der dritten, vierten oder sogar fünften Generation. Es fehlt die persönliche Begegnung mit dem Schöpfer. Es fehlt die persönliche Glaubenserfahrung. Es gibt nur wenige junge Menschen, die sich durch die Zugehörigkeit zur Adventgemeinde in ihrem Lebensalltag bereichert erleben. Meist sind Adventisten in ihrer Umgebung dafür bekannt, dass sie vor dem drohenden Weltende warnen und sich in spekulativen Deutungen des Weltgeschehens aufhalten, aber kraftvolles, alltagsrelevantes und bereicherndes Christsein, das findet man eher in evangelikalen Kreisen. Das gibt mir immer mehr zu denken.
Unseren Auftrag neu entdecken
Seit einigen Jahren befinde ich mich auf einer Reise, um meinen Auftrag als Adventist, anderen Menschen das Evangelium zu verkünden, für mich persönlich wieder neu zu entdecken. Auf diesem Weg ist mir Folgendes bewusst geworden:
Meine persönliche Beziehung und Freundschaft zu Gott schafft Nähe. Nähe zu ihm lässt mein Vertrauen wachsen – zu ihm, mir selbst und anderen. Diese gewonnene Vertrauensbasis macht mir Mut, mit Gott etwas zu wagen. Ein Wagnis schenkt Erfahrungen, die meine Beziehung und mein Vertrauen zu Gott stärken. Und über diese Erfahrungen einer starken Beziehung rede ich gerne mit anderen, denn ich wünsche mir, dass auch sie in einer immer turbulenter werdenden Welt in Gott Frieden und Ruhe finden. Ich wünsche mir, dass sie durch die verändernde Kraft des Heiligen Geistes in dem Wahnsinn, der sie umgibt, echte Freude erleben und ausstrahlen und ihre persönliche Erfahrung mit anderen teilen.
„Evangelisation ist ein Weg der Jüngerschaft der gesamten Gemeinde und keine einzelne Veranstaltung oder Veranstaltungsreihe.“ Strategische Leitlinien, S. 3.4
Als Jünger und Nachfolger Jesu sind wir auf dem Weg: Wir gehen voran, wir fallen, wir stehen wieder auf, wir lernen. Nicht nur was wir sagen, ist eine Botschaft, sondern auch was wir tun und wer wir sind. Wir achten auf die Menschen um uns herum, wir fragen, was sie interessiert. Behutsam knüpfen wir daran an und erzählen, was uns Gott bedeutet und warum uns die Bibel im Alltag hilft, wir machen ihnen Angebote, die auf ihre Bedürfnisse Bezug nehmen und bieten sie auf eine Art und Weise und an Orten an, die ihnen möglichst nahe sind. Wir verstehen unseren Auftrag weniger als „wir zeigen euch den richtigen Weg“, sondern wir sind uns bewusst, dass es eher dem gleicht, dass „ein Bettler dem anderen verrät, wo es etwas zu essen gibt.“ Strategische Leitlinien, S. 7.5
Meine Beziehung zu Gott verändert mein Denken, mein Handeln und mein Reden. Mich für ein gelungenes Leben anderer Menschen in dieser Welt und ihre Entscheidung für ein ewiges Leben mit Gott einzusetzen, diese Sehnsucht wächst in mir immer stärker heran. Dieser Auftrag bedeutet für mich, von einer starken, erfüllenden, tiefgehenden und verändernden Beziehung mit Jesus zu reden. Es bedeutet, Menschen zu zeigen, dass Gott im Alltag relevant und real werden will. Ich rede davon, wie man die Kraft des Gebetes erfahren kann und worin die Verbindung zwischen Glaube – Treue – Vertrauen und Gehorsam besteht – warum es existentiell und relevant ist, die Glaubenslehren der Bibel ernst zu nehmen und dadurch gesegnet zu werden. Der Weg hat sich geändert. Zuerst die Jüngerschaft, dann die Lehre! Ich habe für mich unseren Auftrag neu entdeckt, verstehen und leben gelernt. Und es macht Freude... Wie geht es dir?
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