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Der hörende Gott: „Er [der HERR] neigte sein Ohr zu mir; darum will ich mein Leben lang ihn anrufen“ (Psalm 116,2)

25.09.2012 | Helmut Martzy

Vom Zuhören

Jeder von uns kennt zumindest eine der folgenden Situationen (oder eine ähnliche): Es geht auf den Operationstisch – oder zu einer Koloskopie - oder ins Seniorenheim – oder es fiebert das Kind – oder wir haben einen lieben Mensch verloren - oder wir stehen vor einer Entscheidungsprüfung – oder ein Lehrer soll eine „Problemklasse“ übernehmen. Immer wieder stehen wir vor Herausforderungen, die uns zuweilen den Atem nehmen und den Hals zuschnüren.
Wenn wir da nur jemand hätten, mit dem wir reden könnten und der uns mit seinem Herzen zuhört, der uns versteht, der Zeit für uns hat, dem wir unser Herz ausschütten dürfen, bei dem wir schwach sein und einfach weinen dürfen! Ein solcher Mensch wäre jetzt Goldes wert!
Und dann geraten wir an jemanden, der uns zuhört und dem wir unser Herz ausschütten wollen. Aus dem Augenwinkel sehen wir dann aber, dass er verstohlen und nur für einen Augenblick auf seine Uhr sieht. Das tut doch weh, nicht wahr? Da möchten wir am liebsten abbrechen und enttäuscht sagen: „Vergiss es!“

Du sprichst – ich höre dir zu. Du bist mir wichtig!
Aktives Zuhören, also die mitfühlende, herzlich zuwendende, aufrichtig interessierte und auch nonverbale Reaktion auf die kommunikative Öffnung des anderen bedeutet, den anderen zu mögen, ihn wahrnehmen und zu begreifen, hinzuhören auf seine Informationen, seine Wortwahl,  seine Formulierungen, seine Betonung, sein Melos, seine Sprechverzögerungen und Wiederholungen. Erst all dies zusammen hilft uns, des anderen innezuwerden.
Rechtes Zuhören bedeutet zu versuchen, dem Gesprächspartner mit geduldiger Gesprächsführung ins Herz zu sehen. Unvollkommen zwar, aber doch herzlich bemüht! So bedeutet Zuhören auch, ein Herz zu gewinnen und es ein wenig glücklicher zu machen. Dabei sind auch Sprechpausen geduldig und verständnisvoll auszuhalten.
Der Gesprächführer muss beim Zuhören ein feines Gehör und einen feinen Blick entwickeln für die Signale, die sein Gegenüber sendet - verbal und nonverbal: Signale der Angst, des Zweifels, der Enttäuschung, der Erwartung, der Hoffnungslosigkeit, der Sehnsucht nach Anteilnahme. Die nonverbalen Signale zu deuten sind ein weites Feld. Durch sie offenbart sich mancher Mensch mehr als durch die Worte, die er wählt. 
Die Erfahrung zeigt, dass sich viele Menschen vor allem im seelsorgerlichen Gespräch und im Beratungsgespräch nur zögernd, Schritt für Schritt öffnen – ein Seelsorger verwendete einmal für dieses Phänomen das Bild einer Zwiebel: der andere gibt sich gleichsam nur Schale für Schale, Schicht für Schicht preis. Schon die erste Schicht ist wichtig (denn nichts darf außer Acht gelassen werden), aber erst die fünfte, sechste Schicht führt an das eigentliche Problem heran. Geduld, Einfühlungsvermögen und Liebe zum Nächsten führen zum Ziel. Zuhören ist also ein wesentlicher und wesenhafter Teil der Kommunikation. Ohne zuwendendes Zuhören ist Kommunikation im eigentlichen Sinn nicht möglich.

Körpersprache der Zuwendung
Wir wollen uns noch einigen Überlegungen über die Körpersprache beim aktiven Zuhören zuwenden: Wir suchen zwanglosen Augenkontakt, das ist eine seelische Brücke, und wenden uns dem Gegenüber mit leicht vorgeneigtem Oberkörper zu. Wir vermeiden es, die Arme zu verschränken, das kann als Zeichen der Abschottung bis hin zu Ablehnung wahrgenommen werden. Der Gesichtsausdruck sei interessiert und soll innere Zuwendung signalisieren. Zustimmendes Nicken sollte unsere Aufmerksamkeit, unser Verstehen und unsere wohlwollende Hinwendung unterstreichen. Vorsicht bei der Berührung des Gesprächspartners: Manche Gesprächsführer haben sich die Gewohnheit angeeignet, dem Gesprächspartner als Zeichen der Zuwendung die Hand auf seinen Arm zu legen. Diese Geste kann sehr leicht als plumpe Vertraulichkeit gedeutet und abgelehnt werden. Empfehlenswert ist auch eine Sitzanordnung von 90 Grad (also im rechten Winkel) zum Gegenüber(die Knie sind in der Verlängerung der Scheitelpunkt des Winkels), also möglichst nicht direkt gegenüber sitzen. So wird der Eindruck einer Konfrontation vermieden. Wenn wir dabei die Beine übereinander schlagen, dann immer so, dass das obenauf liegende Knie dem Gegenüber zugewandt ist.
Im Gespräch müssen wir unserem Partner auch durch diese nonverbalen Kommunikationselemente signalisieren: Ich nehme mir Zeit für dich, du bist mir wichtig und du bist jetzt in diesem Gespräch der Mittelpunkt meines Interesses und meiner Konzentration.

Ich versuche zu verstehen, was du sagen willst und was dich bewegt 
Da gehört aber noch nicht verstanden ist, wird es notwendig sein, uns darum zu bemühen, den anderen ganzheitlich zu verstehen. Das ist sowohl ein rationaler als auch ein emotionaler Prozess, bei dem wir von unserer Verständnisfähigkeit, von unserer Erfahrung und Ausbildung, aber auch von unserem Typ her in manchen Fällen vor große Herausforderungen gestellt sind. Wie wir selbst ist auch der andere sowohl ein rationales als auch ein emotionales Wesen. Von da her sind ja seine Informationen, die er uns liefert, und seine nonverbalen Signale meist vielschichtig. 
Reden wir wirklich von derselben Sache? Durch Nachfragen und zusammenfassendes Wiedergeben kann der Gesprächsführer abstimmen, ob Begriffe, von denen im Gespräch ausgegangen wird, auch wirklich für beide Gesprächspartner den gleichen Inhalt und den gleichen Sinngehalt haben.
Freundliches Nachfragen soll klären, ob der Gesprächsführer seinen Gesprächspartner auch richtig verstanden hat: „Habe ich dich richtig verstanden, dass …?“. Hierher gehört auch das Absichern des Verstandenen durch gelegentliche Zusammenfassungen: „Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann  …“. Solche Zusammenfassungen signalisieren dem Partner auch, dass er seinem Gegenüber wichtig ist und dass der sich bemüht, ihn zu verstehen und richtig zu interpretieren.
Gewiss, wir können nicht ins Herz des anderen sehen, wie Gott es kann (1. Samuel 16,7). Gott sieht unser Herz an, Gott kennt uns durch und durch bis in den letzten Winkel unseres Herzens und Wesens. Das kann nur Gott. Aber Gott hat uns für die zwischenmenschlichen Beziehungen und unsere Kommunikation jede Menge Intelligenz gegeben, um aus der Wahrnehmung des anderen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Insofern können wir beschränkt in den anderen hineinsehen. Voraussetzung aber ist ein rechtes Hin- und Hineinhören. Ist unser Zuhören nicht von rechter Art, bleibt unsere Kommunikation flach, ineffektiv und im Grunde eine Vergeudung der Zeit unseres Gesprächspartners und die Ursache für seine Enttäuschung.
Selbstverständlich werden wir bei der Bewertung des Gehörten Wichtiges von Unwichtigem trennen müssen. Was vordergründig wichtig in dem Gesagten unseres Gesprächspartners erscheint, mag unter Umständen von ihm vorgeschoben sein, ist aber oft nicht der Kern seines Anliegens. Erst das, was von ihm – manchmal zögernd nur - nachgeschoben wird, enthält das Problem und ist das eigentliche Anliegen des anderen (denken wir an die Zwiebel, von der wir schon gesprochen haben). Eine zu frühe Bewertung des Gehörten kann also am Wesentlichen vorbeigehen – und das Gespräch läuft ins Leere. Hier ist vorsichtiges, feinfühliges, verständnisvolles Nachfragen vonnöten.
So erhalten wir eine bessere Antwort auf die Frage: Was bewegt den anderen wirklich? Was macht ihm wirklich zu schaffen, worunter leidet er wirklich? Seelische oder geistliche  Konflikte können sehr vielschichtig sein. Was vordergründig schlüssig erscheint, kann bei Licht besehen viel diffiziler sein als angenommen.
Darum ist es notwendig, geduldig zuzuhören und nicht voreilig eine scheinbar passende Schublade zu ziehen und einen weisen Ratschlag herausziehen – der den Kern des Problems aber möglicherweise gar nicht trifft und den Vertrauensaufbau abbricht.

Gott der Hörende
Gott ist der Redende, der Mensch ist der Hörende. Das begegnet uns in der Beziehung zwischen Gott und Mensch in der Bibel sehr häufig und wir empfinden es auch als den rechten Kommunikationsstrom.
Nun zeigt uns die Bibel aber auch den umgekehrten Kommunikationsweg: Den betenden, klagenden, flehenden, schreienden, den redende Menschen – und den hörenden Gott: „Er [der HERR] neigte sein Ohr zu mir; darum will ich mein Leben lang ihn anrufen“ (Psalm 116,2). Gott hört mit erbarmendem Herzen auf das Weinen, Klagen und Seufzen der Seinen: „der HERR hört mein Weinen“ (Psalm 6,9); „dass er [der HERR] das Seufzen der Gefangenen höre“ (Psalm 121,2).
Auch wenn Gott zu seiner Zeit und auf seine Weise antwortet, so hört uns Gott doch zuverlässig und versäumt nichts: „Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören?“ (Psalm 94,9).
Gott hört also nicht nur, sondern er hört zu, er hört hinein in den Menschen. Das sollte uns bewusst sein, wenn wir wieder einmal meinen, Gott habe uns vergessen und allein gelassen. Mehr als je ein Mensch zuhören kann, hört Gott uns zu: in unserer Freude, in unserer Nacht, im Leid, in der Verzweiflung, in unserem Rechten mit Gott, in unserem Zweifel, in unserem Schreien. Vor ihm ist alles an uns offenbar: Gott sieht das Herz an (1. Samuel 16,7) und er sieht ins Herz hinein.
Sollten wir Gott im Rahmen unseres Menschseins nicht nachahmen im Hören auf den Nächsten, also in unserem rechten Zuhören?
Wer seelsorgerlich wirkt, der  handelt im Auftrag des Gottes, von dem uns die Bibel sagt, dass er Gott der Hörende ist, der Eine, dem wir unser Herz ausschütten dürfen: „Hoffet auf ihn allezeit, liebe Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus; Gott ist unsre Zuversicht“ (Psalm 62,9).
Der hörende Gott, der uns in ein so wichtiges Seelsorgeamt gesandt hat, das Amt des Hörenden, dieser Gott will uns auch befähigen, mit rechtem, zuwendendem, erbarmendem Herzen zu hören und den barmherzigen, hörenden Gott nachzuahmen. Der Heilige Geist hilft uns, die uns verliehenen Fähigkeiten des Zuhörens und des Wahrnehmens seelsorgerlich aufs Rechte einzusetzen, um Mitmenschen zu helfen, ihnen zu raten, ihnen Mut zu machen und sie aufzurichten.

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